So entsteht Stress (Teil 1)

Erkenntnisse aus der Neurologie

Stress als Alltagsphänomen

Chronischer Stress – der hat im vergangenen Jahr den Alltag von über der Hälfte aller Deutschen beeinträchtigt (Statista.com, 2022). In diesem Jahr wollen 67% aller Deutschen dafür sorgen, weniger Stress zu empfinden (ebd., 2023).
Inwiefern dieses Ziel erreicht wird, werden wir Ende des Jahres sehen. Betrachtet man jedoch die Studien der vergangenen Jahre, wird der Stress eher mehr, als weniger.

Wie chronischer Stress wirkt, habe ich selbst lernen müssen.

Eigentlich hatte ich mich immer für sehr rational gehalten. Nichts konnte mich aus der Fassung bringen, Stress verstand ich als Synonym für Erfolg und mit diesem „Gefühlskram“ blieb man mir am besten fern. Und dann: Komplettausfall.  

Plötzlich habe ich mich wie fremdbestimmt gefühlt, die kleinsten Dinge lösten Panik in mir aus und diese Panik übertrug sich auf meinen ganzen Körper. Schwitzige Hände, Zittern und Schwindel waren nur einige der Symptome meines Burnouts. Die Amygdala hatte die Kontrolle über mein Handeln übernommen – rationale Kontrolle und Steuerung war in diesen Momenten völlig möglich. Ich konnte mir selbst nicht erklären, warum ich plötzlich so empfindlich war und in den harmlosesten Situationen Angst empfunden habe.

So reagiert unser Körper bei Stress

Emotionen rational erklärt

Einige Jahre später fand ich endlich rationale Erklärungen für mein -wie ich damals dachte- „völlig unrationelles“, emotionales Verhalten. Jede Emotion hat einen Grund und ich musste lernen, auf meine Körpersignale zu hören und meine Emotionen zu verstehen. Der Schlüssel, die Verbindung zwischen Rationalität und Emotionalität, den ich dabei gefunden habe, ist die Neurologie.

Die Amygdala ist die neurologische Bezeichnung für unser “Angstzentrum” im Gehirn, dass uns vor Gefahren schützt. Diese Funktion ist so elementar wichtig für unser Überleben, dass sie tief im Inneren unseres Gehirns verankert ist und durch unseren Verstand reguliert, nie aber völlig abgeschaltet werden kann. Heute weiß ich, das genau dieses innere Schutzsystem damals zu meinen vermeintlich ganz und gar nicht rationalen Reaktionen geführt hat. Und heute verstehe ich auch, wie wichtig es ist, auf erste Anzeichen von chronischem Stress frühzeitig zu hören, damit mein innere Schutzengel nicht im Dauer-Not-Einsatz ist und immer lauter werden muss, um gehört zu werden. Drängt der Verstand unsere Gefühle und Bedürfnisse immer zurück, denn übernimmt er in seiner Not irgendwann die Kontrolle über den Körper und reagiert nicht mehr auf den Verstand. Das fühlt sich -gerade für rational denkende Menschen- nicht nur sehr unangenehm an, es ist auch hochgradig ungesund und kann zu Langzeitschäden führen.

Das richtige Maß an Anforderungen ermöglicht die optimale Leistung.

Was ist Stress überhaupt?

Obwohl wir es umgangssprachlich oft als solche bezeichnen, ist Stress keine Emotion. Vielmehr handelt es sich bei Stress um eine bewusste oder unbewusste Reaktion auf eine Situation, in der wir uns entweder über- oder unterfordert fühlen. Diese Reaktion kann bei uns Gefühle von Angst, Sorge, Furcht, manchmal auch Wut und Trauer auslösen.

Im Falle von „positivem Stress“ (Eustress) kann es zu Euphorie und einem Gefühl von Aufregung kommen. Chemisch gesehen passiert allerdings das Gleiche wie bei “Distress”, also dem als negativ empfundenen Stress: Adrenalin und Cortisol werden ausgeschüttet.

Langfristig gesund und wichtig ist es, immer wieder auch in den dazwischenliegenden Bereich zu kommen, in dem sich Menschen mit den ihnen gestellten Herausforderungen wohl fühlen. In diesem Bereich empfinden wir uns als angenehm aktiviert, aktiv und ausgeglichen und sind tatsächlich auch am leistungsfähigsten.

Inwiefern hilft uns Resilienz dabei?

Der Begriff Resilienz hat seinen Ursprung in der Werkstoffphysik. Er wird verwendet, um Materialien zu beschreiben, die nach extremen Belastungen wieder in ihren ursprünglichen Zustand zurückkehren können. Ein Metallblech gibt bei hoher Belastung ein Stück weit nach und lässt sich biegen. Anschließend kann es wieder in seine ursprüngliche Form finden. Eine Schieferplatte hingegen bricht bei vergleichbarer Belastung.

Krisen bewältigen

Ähnlich verhält es sich bei Menschen, wenn sie traumatischen Ereignissen wie dem Verlust eines Jobs oder dem Tod eines geliebten Menschen ausgesetzt sind. Je widerstandsfähiger wir solchen Situationen gegenüberstehen, desto schneller können wir uns auch selbst wieder erholen und zu unserer früheren Form zurückfinden.

Die Resilienz bezieht sich also auf die Fähigkeit, nach Belastungen, Krisen oder Traumata wieder aufzustehen und sich zu erholen. Vielleicht sogar, gestärkt aus der Krise hervorzugehen. Resilienz ist nur teilweise in unseren Genen angelegt und kann daher auch noch im Erwachsenenalter erlernt und entwickelt werden. Dazu gehören beispielsweise die Fähigkeit zur Problemlösung, die Entwicklung von Selbstbewusstsein und Selbstfürsorge, die Pflege von Beziehungen und die Fähigkeit, sich an Veränderungen anzupassen.

Stress verstehen

Um unsere Stressbewältigungskompetenz zu erhöhen und damit unsere Resilienz aufzubauen , hilft es, die neurologische Stressreaktion im Körper zu verstehen.

 

Unser Gehirn als wesentlicher Bestandteil unseres zentralen Nervensystems lässt sich in vier größere Bereiche einteilen, wovon jedem eine bestimmte Funktion zugeschrieben wird.
Für die Stressentstehung sind Großhirn und limbisches System interessant, also die Zentrale unseres rationalen Denkens und Bewusstseins (der präfontale Cortex im Großhirn) sowie der Sitz unserer Emotionen, Bilder und Erfahrungen (das limbisches System) mit dem Mandelkern, fachlich: Amygdala, als Zentrum der Furchtverarbeitung.
Gehirnaufbau: Großhirn, Stammhirn und limbisches System

Was passiert also bei einem stressauslösenden Ereignis - neurologisch?

Entgegen unserem Selbstbild als intelligente, rational handelnde Menschen ist die Kontrollfunktion des Großhirns auf das limbische System viel geringer, als uns bewusst und recht ist. Pro Sekunde treffen ca. 11 Millionen Bits an Informationen in unserem Gehirn ein, wovon wir nur ca. 40 Bits bewusst verarbeiten können. Unser bewusstes Denken ist deutlich langsamer als unser Unterbewusstsein, das täglich über 80% unserer Handlungen und Entscheidungen steuert.

Darüber hinaus ist die Verbindung des Großhirns zum limbischen System einseitig schwächer ausgeprägt als die umgekehrte Kommunikation von unserem Gefühlszentrum zu unserem Verstand im Stirnhirn. Hintergrund dafür ist, dass bestimmte Emotionen wie z.B. Angst bei lebensbedrohender Gefahr existentiell so wichtig für unser Überleben sind, dass wir sie kognitiv nie gänzlich unterdrücken können. 

Das bedeutet aber: Nicht unser Verstand, sondern unsere Erfahrungen und Emotionen sind es, die primär unsere Entscheidungen treffen und unser Verhalten und unsere Handlungen steuern. Unser Verstand ist „nur“ Ratgeber, aber nicht der Entscheider.

Stell dir vor, du bist in einem fremden Land auf dem Rückweg zum Hotel. Es ist bereits spät nachts und deine Mitreisenden sind vor Stunden zurückgegangen. Plötzlich merkst du, dass jemand hinter dir läuft. Hier ist es nicht den Verstand, der dich erstmal anhalten und überlegen lässt, was zu tun ist. Sondern du läufst etwas schneller. Und dann hörst du, dass sich die Schritte der Person hinter dir ebenfalls beschleunigen. Stress oder genauer: Angst durchflutet deinen Körper. 

Was passiert hier? Dein Körper übernimmt die Kontrolle und reagiert. Und genaugenommen reagiert dein Körper nicht nur einmal, sondern zwei Mal auf die Situation: blitzschnell mit einer neuronalen und etwas langsamer mit einer hormonellen Stressantwort.

wir erleben Stress faktisch zwei Mal:

1. Die erste Stressreaktion erfolgt über unser schnell reagierendes, sympathisches Nervensystem, quasi die „Notfall-Autobahn“ unseres Körpers:

Der Sinneseindruck wird hier nicht näher spezifiziert, sondern die Amygdala sendet “sicherheitshalber” schon einmal “Alarm”. Über das sympathische Nervensystem im Rückenmark, unsere Datenautobahn, erfolgt die Botschaft quasi mit Blaulicht innerhalb von Millisekunden an alle möglichen Organe im Körper.
1. Stressreaktion SAM-Achse

Die Neurotransmittern sausen wie kleine Polizeiautos durch unseren Körper und animieren die Nebenniere, Adrenalin auszuschütten, aber auch alle anderen Organe im Körper, sich für den Notfall bereit zu machen: Pupillen zu erweitern, schneller Blut zu pumpen, tiefer zu Atmen, Muskeln anzuspannen, Verdauung einzustellen etc.​

Stressreaktionen auf der SAM-Achse

Da diese Reaktion über das autonome Nervensystem erfolgt und nicht über die Großhirnrinde mit unserem bewussten Verstand, ist sie der willentlichen Kontrolle durch unser Bewusstsein weitestgehend entzogen. Der gut gemeinte Rat mancher Mitmenschen, „entspann mal…“ oder „sei doch nicht so empfindlich“ ist also durch die betreffende Person im Moment der Stressreaktion willentlich gar nicht umsetzbar.

Deine Amygdala hat auf Basis ihrer Erfahrungen entschieden, dass die Situation gefährlich sein könnte, z.B. weil “sie” schon viele Krimis mit ähnlichen Situationen gesehen und dadurch gelernt hat, dass Gefahr droht. Wer tatsächlich hinter dir läuft, interessiert an dieser Stelle nicht. Vielleicht ist es der Restaurantbesitzer, der dir dein vergessenes Portemonnaie bringen möchte? Rationale Argumente spielen in diesem archaischen, existentiellen Prozess aber keine Rolle. Schnelles Handeln ist gefragt.

Auch wenn in diesem Prozess unser Verstand keine Rolle spielt, haben wir doch Einfluss darauf, wie häufig und wie stark unsere Amygdala “Alarm schlägt”. Aber zunächst zur zweiten Stressreaktion.

2. Die zweite Stressreaktion berücksichtigt, dass wir Menschen ein rational denkendes und handelndes Wesen sind und bezieht unseren präfontalen Cortex in die Entscheidungsfindung mit ein. Das braucht allerdings Zeit.

Dieser Prozess durchläuft nicht nur eine zusätzliche Schleife durch unser Gehirn, um die Situation genauer zu analysieren und zu bewerten, auch die Reaktion im Fall der Bejahung einer Gefahrensituation ist unterschiedlich. Statt unserer Datenautobahn mit den Blaulichtautos, also Nervensystem und Neurotransmitter zu verwenden, wird jetzt die körpereigene Flaschenpost beauftragt: nämlich die Kommunikation über Hormone und Blutbahnen.
Die Amygdala informiert den Hypothalamus, dass hormonelle Botenstoffe ausgeschüttet werden, damit die Hirnanhangsdrüse – auch Hypophyse genannt- ein weiteres Hormon freisetzt: das Adrenocorticotropin (kurz ACTH). Dieses Hormon gelangt über die Blutbahn zur Rinde der Nebenniere und veranlasst, das Stresshormon Cortisol auszuschütten.
2. Stressreaktion HPA-Achse
Cortisol ist ein lebenswichtiges Glukokortikoid, das Entzündungsprozesse hemmt, das Immunsystem unterdrückt und den Stoffwechsel aktiviert, so dass dem Körper mehr Energie zur Verfügung steht. Es potenziert die Wirkung von Adrenalin, wir sind leistungsfähiger, haben eine höhere Konzentration, können Informationen besser verarbeiten und uns Dinge auch besser merken.

 

Leider kehrt sich diese Wirkung bei chronischem Stress ins Gegenteil um. Ein langfristig zu hoher Cortisolspegel lässt Blutdruck und Blutzucker steigen, der körpereigene Eiweißspeicher wird abgebaut, die Muskulatur verkümmert, wir sind häufiger krank, Wunden heilen schlechter, wir fühlen uns niedergeschlagen, unruhig und angespannt. Schlafstörungen, Konzentrationsstörungen, Libidoverlust…. die Liste der Auswirkungen ist lang.

Zum Glück aber können wir Einfluss nehmen auf unser Stressempfinden.

Wenn du zu den vielen Menschen gehörst, deren Herzschlag sich schon bei dem Gedanken an all deine To-Dos erhöht, ist es ratsam, gegenzusteuern.

 

Wie jede Verhaltensänderung ist das Erlernen eines nachhaltigen Stressmanagements nicht von heute auf morgen getan. Aber im Coaching wirst du professionell unterstützt, wirkliche Erfolge zu erzielen. Mehr darüber, wie du einen gesünderen Umgang mit Stress lernen kannst, erfährst du in meinem nächsten Beitrag.

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